Nachbericht Oberstufenprojekt „SALON“

Vom 4. bis 8. Februar fand das klassenübergreifende Oberstufenprojekt statt. Die Schülerinnen und Schüler der Klassen 9 bis 12 – nebst allen LehrerInnen und den MitarbeiterInnen der Büros und des Vorstands – wurden zu einem Salon geladen.

In Anlehnung an die Salontradition des 17. und 18. Jahrhunderts, wo in adeligen oder bürgerlichen Häusern Fragen des gesellschaftlichen Lebens diskutiert wurden, haben sich auch in unserem Jahrhundert Salons – in veränderter Form – etabliert. Sie sind vor allem unter dem Begriff „the art of hosting“ – die Kunst des Gastgebens – bekannt geworden.

Den Rahmen bildete unser als Salon umgestalteter Speisesaal, der in dieser Woche ausschließlich dem Oberstufenprojekt vorbehalten blieb. Der abgedunkelte Saal wurde flächendeckend mit Orientteppichen ausgelegt, mit niederen Couchtischen und Sitzpolstern bestückt und nur von Kristalllustern und schönen Stehlampen erhellt. Dem gehobenen Ambiente entsprechend gab es eine Kleidervorschrift für alle TeilnehmerInnen: Herren in Hemd und Anzug, die Damen hatten wie üblich eine freiere Wahl zwischen Bluse und Rock, Kleid oder schöner Hose. Die SchülerInnen hatten teils sichtlich Freude daran, sich einmal von anderer Seite zu zeigen; wir waren wirklich alle sehr schick in dieser Woche! Bei äußerlich anderen Rahmenbedingungen, so der Gedanke, besteht immer auch die Chance, dass auch innerlich etwas anders werden kann. Der Salon wurde von 9.00 bis 11.00Uhr vormittags angesetzt, sodass auch der „Unterrichts“- Beginn sich deutlich vom Schulalltag absetzte. Im Anschluss an den Salon – und als Ausgleich für die intensive geistige Betätigung am Vormittag – besuchten die Schülerinnen und Schüler einen Tanzkurs in den Räumlichkeiten der Tanzschule Polai, wo die Grundlagen der Standardtänze vermittelt wurden. Auch dieses Angebot wurde von vielen sehr geschätzt, wenigstens einmal Gelegenheit zu haben, sich in den Standardtänzen auszuprobieren, ohne gleich einen längeren Kurs zu belegen; viele fanden Freude daran und hätten am liebsten gleich verlängert, andere machten immerhin die Erfahrung, „dass es nicht so schlimm war, wie sie es sich vorgestellt hatten“.

Wie gestaltete sich nun der Vormittag? Im Rahmen eines sogenannten „world cafés“ wurden die Fragen, die den Jugendlichen wichtig waren, diskutiert.

Nach der Begrüßung und den einführenden Worten der Salonnière im Plenum hatte jede/r Gelegenheit, den in der Mitte liegenden „talking stick“ – den Redestab – zu ergreifen, und eine Frage, die ihr/ihm am Herzen lag, zu stellen. Es gab keine thematische Einschränkung bei den Fragen – es zählte allein das Interesse an einer bestimmten Frage und die Bereitschaft, die Frage mit anderen zu besprechen. So wurden im Laufe der Woche Fragen gestellt wie:

Was ist das Wesentliche im Leben? Wieso herrscht so viel Ungerechtigkeit in der Welt? Wieso tun wir Dinge, die uns schaden? Warum streben wir Menschen nach Macht und Reichtum? Existiert das Schicksal? Was sollte man mit viel Geld tun? Was brauchst du, um glücklich zu sein? Warum träumen wir? Wie können wir aufhören, uns über andere zu stellen? Sollte die fsk-Einstufung für manche Gewaltspiele angehoben werden? Übernehmen Roboter die Welt? Darf man über alles lachen?

 Waren im Plenum sechs Fragen gesammelt, so eröffnete jede/r FragestellerIn einen der sechs Tische im Raum und blieb dort als GastgeberIn den ganzen Vormittag über. Die Diskutanten aber, die sich je nach Interesse auf die Tische verteilten, wechselten im Laufe des Vormittags entsprechend den drei Gesprächsrunden dreimal den Tisch, sodass sie sowohl mit unterschiedlichen Themen in Berührung kamen, als auch Gedanken der jeweilig letzten Runde an den neuen Tisch einbringen konnten. So weitet sich zum Einen der Horizont viel schneller, zum Anderen verweben sich die einzelnen Themen ineinander.

Als Vertiefungshilfe für die bewusst kurz gehaltenen Dialog-Runden von zwanzig Minuten konnte für die erste Runde die Frage: „Was ist die Frage hinter der Frage?“, für die zweite Runde: „Was fehlt?“, für die dritte Runde: „Was bedeutet das bisher gesagte für mich?“ hinzugenommen werden.

Zwischen den einzelnen Runden wurden Pausen eingelegt, in denen man sich am schön arrangierten  Buffet (Stichwort: kleine belegte Brötchen, Grissini und Dips, Kuchen, Mascarpone-Ceme mit Himbeeren und Mandelblättchen, Tiramisu, Mousse au Chocolat, kandierte Nüsse, Ananas und Trauben) stärken konnte. Nach den drei Runden kamen wir wieder im Kreis zusammen, um die „Ernte“ einzubringen: Was war ein neuer/ erstaunlicher Gedanke? Habe ich eine Erkenntnis gewonnen? Was klingt nach? Was habe ich in den einzelnen Runden wahrgenommen? Wenn alles gesagt war, beschlossen wir den Vormittag.

Wir haben an diesen fünf Vormittagen versucht, die drei Grundregeln eines guten Dialogs zu beherzigen: Respekt (vor anderen und vor sich selbst), Authentizität (ich spreche von Herzen, und nicht um gut dazustehen oder jemandem zu imponieren), Empathie (Freundlichkeit – ich helfe dem anderen, das gemeinsame Ziel zu erreichen). Sich wirklich auf einen Dialog einzulassen erwies sich als eine sehr anspruchsvolle Übung, die sich von bloßen Diskussionsübungen wesentlich unterscheidet: Für einen Dialog braucht es nicht bloß intellektuelle Qualitäten, sondern Qualitäten, die den ganzen Menschen betreffen. Für das Stellen einer Frage etwa brauche ich Mut (alle hören zu, ich muss etwas von meinem Inneren preisgeben, mit dem Stellen einer Frage gebe ich zu, dass ich die Antwort nicht weiß und ich mache mich angreifbar). Ein Dialog braucht meine volle Aufmerksamkeit – als SprecherIn muss ich nach innen hören, um aufzuspüren, was in diesem Moment das Wesentliche ist und mich öffnen für die Inspiration, um die richtigen Worte zu finden, dieses Wesentliche mit den anderen zu teilen; als ZuhörerIn muss ich meine Aufmerksamkeit nach außen richten, was in diesem Moment das Wesentliche an diesem Menschen ist und was dieses für die Gemeinschaft bedeutet. In diesem Sinne werden Reden und Zuhören Eins in der ungeteilten Aufmerksamkeit.

Des Weiteren haben wir uns erinnert daran, dass eine innere Veränderung immer eine äußere Veränderung bewirkt: Wenn wir Respekt, Toleranz, Solidarität, Zuhören, Mitgefühl und Freundlichkeit praktizieren, werden wir eine Gesellschaft bilden, die unvermeidlich von diesen Qualitäten geprägt ist. Die großen Krisen unserer Zeit, vor denen wir alle stehen, spiegeln uns wider, dass genau diese Qualitäten fehlen. Und auch die üblichen Diskussionen (wörtlich lat.: „Zerschlagung“) über die Fragen unserer Zeit, wie wir sie überall antreffen, zeugen eher von Machtdemonstration, Ichbezogenheit, Verwirrung und aneinander Vorbeireden. Ein ichbezogener Mensch wird niemals in wirklichen Dialog treten können.

Meiner Wahrnehmung nach ist im Salon diese sehr anspruchsvolle Übung im Dialog gelungen. Gerade nicht deshalb, weil immer und an jedem Tisch immer intensivst und unter Respektierung sämtlicher Regeln über die gestellten Fragen geredet wurde, sondern weil auch im Scheitern des Dialogs der Bezug zur gemeinsamen Mitte nicht verlorenging. So kamen oft Gespräche nicht recht in Gang, fielen auseinander oder kamen auch gar nicht zustande – es wurde dann halt über alltägliches geplaudert; oder es waren im Laufe der Woche dann doch immer die „Üblichen“, die das Wort führten, während die „Ruhigen“ schwiegen; oder das Thema konnte nicht wirklich erhellt werden… all dies wurde auch von allen bemerkt und solchermaßen auch anerkannt.

Diese Widersprüche gehören dazu, und auch im Scheitern (mit den zugehörigen Gefühlen der Enttäuschung, Langeweile oder des Versagens) zeigt sich unser aller Zusammenhang und unser Angewiesensein aufeinander. Am Eindrucksvollsten in Erinnerung ist mir, dass es jeden Tag auch Minuten der Stille gab, die von niemandem angeordnet wurde, die einfach entstand, während wir alle im Plenum auf Fragen oder Wortmeldungen warteten. Miteinander schweigen zu können ist wohl das stärkste Zeichen intensiver und gelungener Gemeinschaft.

Die Rückmeldungen der SchülerInnen zeigten, dass sie die Unterbrechung des Schulalltags (und das gute Buffet) genossen hatten, viele Spaß daran hatten, sich einmal schick zu kleiden, es interessant fanden, einmal ohne Vorgabe Themen ihrer Wahl besprechen zu können, und vor allem sich gefreut hatten, als gesamte Oberstufe so intensiv miteinander in Kontakt treten zu können.

Für mich hat sich gezeigt, dass wir als kleine Schule mit wenig finanziellen Mitteln imstande waren, ein anspruchsvolles und außergewöhnliches Oberstufenprojekt durchzuführen, das in Richtung einer Gesellschaft wirkt, von der wir zu träumen wagen sollten.

Claudia Labek

Im Besonderen möchten wir uns bei folgenden Institutionen und Personen bedanken, die uns unterstützt haben:

Ho&Ruck Gebrauchtmöbel, Verein Wams, Praxis Dr. Märk – für das zur Verfügung Stellen von Orientteppichen

Werner Hörtnagl – für die Ausstattung des Raumes

Otmar Posch – für das zur Verfügung Stellen des Gongs und das Räuchern des Salons

Fotograf Tommy Seiter – für das Fotografieren

Den Eltern und SchülerInnen der Oberstufe für die Unterstützung des Kuchenbuffets